Narzissmus in Märchen und Geschichten

Viele (bekannte und beliebte) Märchen handeln von hässlichen Müttern. Von krankhaft-narzisstischen Müttern, die ihre Kinder schlecht behandeln. Im Märchen sind es meistens die Stiefmütter, die sich derart schlecht aufführen. Denn auch im Märchen muss geleugnet werden, dass die eigene Mutter hässlich sein kann.

Interessant ist: Warum ist es immer noch ein Tabu, offen darüber zu reden, dass es Mütter gibt, die das Prädikat "Mutter" nicht verdient haben? Die lieber etwas anderes hätten tun sollen als Mutter zu werden, weil sie diese Aufgabe nicht adäquat erfüllen können?

Tief im Inneren wissen aber viele Menschen (Kinder) um solche "Mütter".

Sonst hätten diese Frauen niemals Eingang in die Märchen gefunden und die

Jahrhunderte überdauert. Diese Geschichten wurden und werden immer noch von Generation zu Generation weitergetragen. Es scheint sehr viele schlechte Mütter gegeben zu haben, sonst hätten diese Geschichten nicht überlebt. Auch wenn man nicht offen über "schlechte Mütter"

sprechen darf: Im Märchen werden ihre Taten weiterhin laut verkündet und aufgedeckt...

 

So hat auch Walt Disney ein Märchen der Gebrüder Grimm über emotionale Gewalt und krankhaften Narzissmus äußerst humorvoll, familiengerecht und unterhaltsam umgesetzt:

 

Rapunzel - Neu verföhnt

In der Geschichte taucht die narzisstische, hexenhafte Mutter in Form der Frau Gotel (englisch "Gothel") auf, die nur an dem Zauberhaar des Mädchens Rapunzel interessiert ist, um ewig jung bleiben zu können. Dafür hat sie sie in einen Turm eingesperrt und in ihr die Angst vor der bösen Welt "da draußen" geschürt, damit ihr kostbarer "Jungbrunnen" nicht irgendwann einmal fortläuft (Themen: Missbrauch / Gefangenschaft / Demütigung / Selbstvertrauen erschüttern, schwach, klein und hässlich machen / täuschen / Verwirrung auf Seiten des Opfers schüren - geliebt und verachtet werden (siehe "Eisberg-Modell") / Psychospiel / Manipulation / Macht - Kontrolle / Drama / Zwei Gesichter haben (Dr. Jakyll und Mr. Hyde): die "liebevolle" und die eiskalte, grausame Mutter). Die Gefühle des Mädchens sind Gothel nämlich herzlich egal. Ein Attribut, mit dem die falsche Mutter ausgestattet ist, ist der Dolch. Ein Dolch kann auch verbal eingesetzt werden. Was Mutter Gothel auch häufiger praktiziert. Erst beleidigt, missachtet oder verachtet sie ihre "Tochter" verbal, dann sagt sie im gleichen Atemzug, wie lieb sie sie hat, dass sie nur "Spaß macht" und dass sie es doch nur gut mit Rapunzel meint.

 

Eine zweite, ebenso narzisstische Figur des Films - allerdings nicht bösartig wie der Charakter der Frau Gotel - ist "Flynn Rider", der sich einen anderen Namen und ein falsches, prahlerisches Selbst zugelegt hat, im Grunde sein wahres Ich (die Vergangenheit als Waisenjunge) ablehnt. Zu Anfang nennt er Rapunzel immer spöttisch "Blondie", schaut auf sie herab und träumt vom großen Geld und einer eigenen Insel, auf der er alleine leben möchte. Er beschwert sich dauernd über seine nicht korrekt gezeichnete Nase - also über sein nicht richtig zur Geltung kommendes Äußeres - auf seinen "Gesucht"-Bildern. Im Verlaufe des Films jedoch akzeptiert er - aufgrund seiner Liebe zu Rapunzel - sich selbst und nimmt wieder seinen echten und eigentlich ihm "verhassten" Namen Eugene an (und akzteptiert somit sein "echtes Selbst". Durch die wahre Liebe und seine Opferung am Ende des Films (d.h. durch vollkommene Selbstaufgabe und dadurch, dass er einmal in seinem Leben nicht an sich selbst denkt) wird er von seinem Narzissmus durch den symbolischen Tod seines alten (Ego-) Ichs erlöst, und die wahrhafte Liebe befreit sowohl ihn als auch Rapunzel von der narzisstischen, falschen Mutter Gothel.

 

Um noch mal in den Film kurz reinzuschauen, klick hier: Porträt Flinn Ryder und hier: Porträt Mutter Gothel

 

 

Penelope

Ein weiterer Film, der das "Rapunzel-Märchen" zur Grundlage hat, ist der Film Penelope.

Die Geschichte handelt von einem aristokratischen Mädchen, das aufgrund eines Fluchs - einer angeblichen Schweinsnase - in einem Anwesen vor der Öffentlichkeit versteckt gehalten wird. (Das heißt, das Mädchen wird als hässlich und nicht liebenswert dargestellt.) Wegen ihres verunstalteten äußeren Aussehens hat sie angeblich schlimme Erfahrungen mit gleichaltrigen Kindern gemacht, die Mutter schützt sie nur vor Angriffen der "hässlichen Außenwelt" (wie auch Gotel Rapunzel "schützen" will). Zudem soll Penelope bald - da sie im Verlaufe des Films erwachsen wird - heiraten und schlägt alle Freier - aufgrund ihres "entsetzlichen" Aussehens - in die Flucht. Am Ende akzeptiert das Mädchen sich so, wie es ist, und hat plötzlich keine Schweinsnase mehr. Es kommt heraus, dass die (narzisstische) Mutter das Mädchen zum Schutz (aus egoistischen Gründen: Einsamkeit? / Verlassenheitsangst?) weggesperrt hat und verantwortlich ist für das negative Bild, das das Mädchen von sich selbst und in der Öffentlichkeit bekommen hat, was ein unaufmerksamer Zuschauer jedoch wohl nur am Rande mitbekommt. Der Film dreht sich augenscheinlich darum, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist und sich der Welt mit seinen guten wie schlechten Seiten (also ganz, so wie man tatsächlich ist) "zuzumuten". Tatsächlich aber hat das Mädchen gar keine Schweinsnase (und so schreckliche Seiten, wie angenommen), das wurde ihr nur (von der Mutter) suggeriert. Am Ende des Films, wo sich alles in Wohlgefallen auflöst - Penelope sitzt mit ihrem neuen Freund vor einer Gruppe von Kindern auf einer Wiese und sie diskutieren die "Moral von der Geschicht´" - da sagt ein Junge, dass es wichtig ist, welche Bedeutung man selbst einem Fluch gibt (also ob man sich selbst zum Opfer machen lässt und daran glaubt, minderwertig und hässlich zu sein oder ob man selbstbestimmt ist und für sich, sein Leben, seine Freiheit und Würde kämpft.) Darüber hinaus resümiert ein Mädchen auf der Wiese, dass "die Mütter sowieso immer an allem schuld seien". Es ist also eine Mutter-Tochter-Geschichte, in der die Mutter die Tochter aus egoistischen Gründen wegsperrt, sie klein und hässlich macht, in ihr Angst vor sich selbst und der Welt schürt, so dass sie ohne Freunde und einen Partner bleibt - damit sie - die Mutter - nicht verlassen wird.

 

Einen Ausschnitt aus dem Film findest du hier

 

 

Coraline

 

Coraline ist ein Film über ein Mädchen, das sich von seinen Eltern vernachlässigt fühlt und aufgrund eines Umzugs ihre Freunde verliert und sich sehr ungeliebt, einsam und ungeborgen fühlt. Coraline wünscht sich die perfekten Eltern, die Zeit für sie haben und ihr alle Wünsche von den Augen ablesen. Die Eltern sind jedoch mit dem Umzug beschäftigt und beruflich sehr eingespannt.


Da findet Coraline in dem neuen Haus eine Tür und dahinter einen Zaubertunnel, der sie zu ihren perfekten Eltern führt. Diese sehen täuschend echt und genauso aus, wie ihre eigenen Eltern, doch tragen sie - zur Unterscheidung - anstelle der richtigen Augen Knöpfe im Gesicht. Nach und nach entzaubert sich das Bild der ach so tollen Wunscheltern. Coraline soll für immer bei den perfekten Supereltern bleiben, dafür aber ihre Augen opfern und Knöpfe angenäht bekommen (also blind werden für das, was wirklich um sie herum geschieht). Der perfekte Vater entlarvt sich als verzauberter Kürbis, der als Marionette der perfekten Mutter agiert. Diese verwandelt sich schließlich auch in ihre richtige Gestalt zurück: ein spinnenartiges Hexenwesen mit metallenen Fangarmen, das Coralines richtige Eltern in einer Schneeglas-Kugel gefangenhält. Coraline muss ihre echten Eltern befreien und den Kampf gegen ihre falsche (narzisstische) Mutter antreten, was sie letztendlich auch schafft. Ein wunderbarer, gruseliger Film über "Doppelbödigkeit" und "Täuschung" (die Welt ist nicht so wie sie scheint - siehe auch das "Eisberg-Modell"), über Albtraum-Eltern und narzisstische Mütter. Einen Ausschnitt zum Film findest du hier

 

Weitere Märchen, die sich mit dem Thema "Narzissmus" beschäftigen, sind zum Beispiel auch "Aschenputtel" (Cinderella) und "Schneewittchen".

 

Aschenputtel / Cinderella

In "Aschenputtel" stirbt die gute Mutter (die grausame bleibt), der Vater nimmt sich eine neue Frau, und das Mädchen muss die verbalen Grausamkeiten ihrer narzisstischen Stiefmutter und deren Stiefschwestern ertragen. Der Vater spielt in dem Märchen kaum eine Rolle. In einigen Versionen sieht er einfach nur still zu, wie Aschenputtel misshandelt wird. Oder er stirbt, so dass das Mädchen durch ihn keine Hilfe zu erwarten hat und mutterseelenallein still alles erdulden muss und sich an niemanden in seiner Not wenden kann.


Eine Variante der Aschenputtel-Thematik ist "Allerleirauh", in dem es nicht um eine narzisstische Mutter, sondern um einen die eigene Tochter missbrauchenden Vater geht.


Es existieren massenhaft Verfilmungen zum Märchenstoff "Aschenputtel". Der "aktuellste" Aschenputtel-Film von Walt Disney: Zum Trailer

 

Schneewittchen

 

Ein weiteres Märchen, in dem es um eine krankhaft narzisstische (Stief-)Mutter geht und in dem das Thema "Neid" und das "Äußere" eine große Rolle spielen, ist "Schneewittchen". Diese Geschichte handelt von einer Mutter, die es nicht ertragen kann, dass sie älter und ihre junge (Stief-)Tochter immer schöner wird als sie und dadurch auch mehr Aufmerksamkeit und Bewunderung erhält seitens der Männer. (Im wirklichen Leben ist die Tochter meistens - nicht immer - ein Abbild des früheren Selbst der Mutter, und die Mutter hat im Grunde nicht nur Angst, nicht mehr attraktiv zu sein und zu altern - wodurch sie sich stark minderwertig fühlt - sondern generell auch vor ihrem eigenen, physischen Tod). Um ihren Seelenfrieden wiederzuerlangen, schreckt die (Stief-)Mutter auch nicht davor zurück, ihre (Stief-)Tochter umbringen zu lassen / selber umzubringen.


Im wahren Leben würde die Mutter ihre Tochter zwar nicht umbringen, sie aber versuchen mit sarkastischen Bemerkungen zu verunsichern, schlecht zu machen, unfaire Verbote auszusprechen, kurz das Leben der Tochter schwer und bitter zu machen (ohne, dass jemand anderes es merkt). Die Tocher auf diese Weise leiden zu sehen, ist Balsam und wahrer Genuss für das angekratzte Ego der Mutter, auch, wenn sie das niemals zeigen würde (und wenn, dann nur der Tochter selbst, aber keinem Außenstehenden). Vordergründig muss sie immer so tun, als ob ihr das Wohl der Tochter am Herzen liegt.


Diese heimtückische, hinterlistige Vorgehensweise - eine andere Person (aufgrund eines - wie einen unerträglichen Stachel - tiefsitzenden Minderwertigkeitsgefühls) schlecht, klein und hässlich zu machen, sich über sein "Opfer" (in Gegenwart anderer) lustig zu machen, die wunden Punkte auszuloten und immer wieder und wieder subtil "zuzustechen", im schlimmsten Fall das "Opfer" in den sozialen Kreisen, in denen es sich bewegt, unmöglich zu machen, zu isolieren oder gar zu "vernichten", um selbst besser dazustehen und sich "groß" und "machtvoll" fühlen zu können, da man Kontrolle ausüben, alle Fäden in der Hand halten und Schicksal spielen kann, dies ist, worunter man "krankhaften Narzissmus" (die Narzisstische Persönlichkeits-störung) versteht.

Wunderbar humorvoll umgesetzt ist das Märchen "Schneewittchen" in Spieglein, Spieglein mit Julia Roberts und Lily Collins in den Hauptrollen.

Einen Ausschnitt aus dem Film findest du hier

 

Noch eine kleine Anmerkung: In der Schule und am Arbeitsplatz würde man das oben beschriebene Verhalten als "Mobbing" bezeichnen. In der Familie und Partnerschaft verwendet man wohl eher den Begriff "häusliche Gewalt", obwohl viele Menschen unter "häuslicher Gewalt" wohl eher Handgreiflichkeiten (schlagen, stoßen, vergewaltigen... etc.) verstehen als verbale oder emotionale Gewalt, doch auch die beiden letztgenannten Begriffe gehören dazu, wie du unter dem Link Häusliche Gewalt erfahren kannst.

 

Fazit

 

Es gibt sicherlich noch mehr Geschichten über krankhaften Narzissmus, wie beispielsweise die Geschichte von "Dr. Jakyll und Mr. Hyde", "Das Bildnis des Dorian Gray" von Oscar Wilde oder "Beastly", das dem Märchen "Die Schöne und das Biest" nachempfunden ist.  Hänsel und Gretel werden von einer Mutter verstoßen und mit der Wahrheit - der Hexe im Wald - konfrontiert.

 

Interessant ist, dass es gerade diese Geschichten wie Rapunzel, Aschenputtel, Schneewittchen oder Hänsel und Gretel sind, die sehr viele Menschen in ihren Bann ziehen und faszinieren. Vielleicht weil man sie erschreckenderweise aus seinem eigenen echten Umfeld kennt und derartige Grausamkeiten selbst oder bei anderen schon erlebt hat und sich (leider) mit diesen äußerst tragischen (meist im Verborgenen ablaufenden) Geschichten identifizieren kann?

Weil man sich als Kind auch schon öfter mal ungeliebt, ungerecht behandelt und unerwünscht gefühlt hat?