Hilfe für Angehörige

Angehörige von Depressiven stellen sich oft die Frage, wie sie sich im Umgang mit den Betroffenen verhalten sollen.

 

Hier ein paar Tipps, die ich dem Buch

Mit dem schwarzen Hund leben. Wie Angehörige und Freunde depressiven Menschen helfen können, ohne sich dabei selbst zu verlieren von Matthew und Ainsley Johnstone entnommen habe:

 

  • Versuch, nicht selber zu reden, sondern nur zuzuhören. Das ist eines der schönsten Geschenke, die du geben kannst.
  • Muntere den Betroffenen nicht krampfhaft auf (z.B. mit "Partys" oder Witzen, d.h. mit besonders fröhlichem Getue).
  • Gib keine Experten-Ratschläge, die du aus Depressions-Ratgebern oder dem Internet entnommen hast.
  • Versuch deinen depressiven Angehörigen zu ermutigen, eine professionelle Meinung einzuholen und ihn / sie dann auch zu begleiten, wenn er oder sie es wünscht
  • Versuch den Betroffenen zu entlasten, falls für dich möglich. ABER: Nicht alles abnehmen. Das schwächt das Selbstwertgefühl
  • Unterstütz oder motiviere zu jeglicher Form von Bewegung (Fitness). Aber zwinge den Betroffenen zu nichts.
  • Organisiere eine Gruppe von Freunden / Angehörigen, damit jeden Tag mal jemand vorbeikommt, um zu helfen, Kaffee zu trinken oder einfach nur, um Hallo zu sagen
  • Findet gemeinsam Lösungen, um Stress abzubauen (zu Hause und am Arbeitsplatz)
  • Fertigt eine Schachtel an, die Kraft gibt. In die legt der Betroffene alles das hinein, was ihm etwas bedeutet: Fotos, Zeitungsausschnitte, Lieblings-CDs, Düfte (Parfüms, Seife), Erinnerungsstücke... Wenn es ihm / ihr schlecht geht, kann er / sie auf diese Schachtel zurückgreifen.
  • Legt ein Kraft-oder Mutmach-Buch an (das kann auch in der Kraftschachtel liegen), in dem der Betroffene schreibt, was er alles in seinem Leben erreicht hat, was ihm / ihr Gutes widerfahren ist und wofür er oder sie dankbar ist. Auch kann in diesem Buch vermerkt werden, welche Ziele er / sie sich (in kleinen Etappen) gesteckt und welche er / sie schon erreicht hat.
  • Sprich mit dem Betroffenen ab, wann und worauf er / sie besonders "empfindlich" reagiert, so dass man diese Hürden schon im Vorfeld umschiffen kann (Schlüsselreize / Warnsignale abklären)
  • Du kannst den Depressiven nicht alleine retten. Das muss er selbst (oder mit professioneller Unterstützung) vollbringen.
  • Such dir - falls du an einem Burn-out leidest - selbst einen Arzt auf, der dir hilft, diese schwierige Phase zu überstehen.
  • Versucht einen gemeinsamen Vertrag abzuschließen, dass ihr trotz der Depression offen und ehrlich sowie freundlich und respektvoll miteinander umgehen wollt. "Mürrisches Verhalten wird nicht toleriert."
  • Haltet ein regelmäßiges "Gipfeltreffen" ab, indem ihr euch gegenseitig über die Befindlichkeit, Fortschritte, neue Erkenntnisse oder Aktuelles informiert

 

(aus: Johnstone, Matthew und Ainsley: Mit dem schwarzen Hund leben. Antje Kunstmann-Verlag, 2009)

 

Persönliche Tipps einer ehemals Betroffenen:

 

Josef Giger-Bütler gibt in seinem Buch »Wir schaffen es: Leben mit dem depressiven Menschen" sehr viele nützliche Tipps mit an die Hand, wie man in dieser schwierigen Situation miteinander umgehen und auch mit seinen Gefühlen klarkommen kann.

 

Hier möchte ich jetzt selbst noch ein paar "Tipps" aus meiner Zeit der Depression geben, da ich selber betroffen war.

 

Ich weiß, das Leben mit einem Depressiven ist nicht leicht.

 

Ich habe sehr großes Verständnis für den Kummer der Angehörigen.

 

Das ist eine sehr belastende Situation.

 

An dieser Stelle sind einige Bitten an dich, die ich aus eigener Erfahrung hier niederschreibe:

 

Gib keine gutgemeinten Ratschläge

 

Rat-schläge sind Schläge. Diesen Ausdruck hast du sicher schon einmal gehört, er ist ja in aller Munde. Dasselbe gilt für Aufmunterungen, Belehrungen, Vorwürfe und Verurteilungen jeglicher Art.

 

In den Ohren eines Betroffenen klingen sie wie blanker Hohn:

 

  • Kopf hoch!
  • Lass den Kopf nicht hängen.
  • Das wird schon wieder!
  • Geh doch einfach mal raus, an die frische Luft. Das wird dir guttun.
  • Lass dich nicht so hängen.
  • Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus
  • Denk positiv! Hey, think positive!
  • So schlimm kann´s doch nicht sein
  • Anderen Menschen geht es viel schlechter als dir.
  • Denk mal an deinen Cousin.... Der ist auch.... Der hat sich auch nicht so hängenlassen.
  • Du bist einfach zu sensibel.
  • Du bist wie ein rohes Ei
  • Dich muss man mit Samthandschuhen anfassen, was?
  • Lach doch mal. Du machst immer so ein ernstes (trauriges) Gesicht
  • Du machst aus einer Mücke einen Elefanten.
  • Jetzt reiß dich doch mal zusammen. Lass dich nicht so gehen.
  • Du bist ein hoffnungsloser Fall
  • Dir kann man nicht helfen
  • Du willst nicht gesund werden.
  • Du gibst dir keine Mühe / Du gibst dir nicht genug Mühe.
  • Wenn du wirklich wollen würdest, dann könntest du.
  • Du willst dir ja gar nicht helfen lassen
  • Ich will dir doch nur helfen.
  • Du musst nur das und das machen.
  • Vielleicht solltest du das und das tun...
  • Du könntest doch mal...

 

Es ist richtig, manch ein Ratschlag mag gut gemeint sein, aber er nützt nicht.

 

Lies hierzu auch: Welches Verhalten mit echtem Mitgefühl (Empathie) nichts zu tun hat.

 

Hör bitte zu und tu nicht so, als ob

Wenn sich der Depressive mal an Dich wenden sollte, um Dir von sich aus etwas zu erzählen, dann hör ihm / ihr auch zu. Tu niemals so, als würdest du zuhören, wenn du genervt bist und keine Lust oder Zeit dazu hast.

 

Bemitleide den Depressiven nicht

Mitleid kommt von mit-leiden.

Was wirklich hilft, ist echtes Mitgefühl (Empathie), bei dem sich Menschen auf Augenhöhe begegnen.

 

Löse nicht die Probleme des Depressiven

Unter Umständen hältst du das Mit-Leid(en) mit dem Anderen nicht mehr aus. Du verlierst die Geduld (denn du kennst ja die Lösung, ist ja alles so einfach). Du reißt das Problem an dich und versuchst es selbst für den Depressiven zu lösen (damit du endlich deine Ruhe und deinen Frieden findest, denn das alles belastet dich doch sehr).

 

Damit ist dem Depressiven jedoch nicht geholfen, da allein er oder sie aktiv werden und selbst für sich eine Lösung finden muss.

 

Erkenne eine klare Grenze zwischen Du und Ich

Es kann sein, dass du dich mit dem Betroffenen über-identifizierst.

Womöglich hast du keine eigenen, klaren Grenzen.


Dies beinhaltet die Fragen:

  • Wo fange ich mit meiner Persönlichkeit (und meinem Energiefeld) an und wo höre ich auf?
  • Was gehört noch zu mir und was ist der Bereich des Anderen?.

 

Bei unklaren Grenzen zwischen zwei Personen kann Folgendes geschehen:

 

Du tauchst völlig in das "negative Energiefeld" des Anderen ein, saugst dich voll mit der quälenden Stimmung des Anderen wie ein nasser Schwamm, und stürzt dich kopfüber in den Sog des Leids, von dem du fast verschlungen wirst.

 

Du fühlst dich energielos, als wäre dir deine Lebenskraft ausgesaugt worden. (Dies kann auch bei wirklichen "Energie-Räubern" passieren.)

 

Wenn du keinen klaren Schutz um deine Person aufgebaut hast (und fragil bist), dann hast du wirklich ein Problem und solltest dich erst einmal um dich selbst als um den Depressiven kümmern.

 

Denn was geschehen kann, wenn die Grenzen von Du und Ich fallen, zeigt der nächste Punkt. Es ist auch eine erneute Bitte an dich.

 

Ertrink nicht im Leid des Depressiven

Ertrink nicht im Leid des Depressiven, indem du selbst anfängst, vor Hilflosigkeit und Verzweiflung zu weinen.
(Dich ausweinen kannst du bei einer guten Freundin / einem guten Freund oder in einer Beratungsstelle.)

 

Glaubst du, der Depressive wird sich dadurch besser fühlen?
Oder es wäre euch beiden auf irgendeine Weise geholfen?
Der Depressive fühlt sich hilflos genug.
Eine zweite hilflose Person erträgt der Depressive nicht.

 

Der Betroffene wird sich vielleicht noch schuldiger fühlen.
Er oder sie kann nicht auch noch deine Last, deinen Kummer und deine Sorgen mittragen. Der Depressive hat genug mit sich selbst zu tun.

 

Hol dir Hilfe, falls du merkst, dass du deine Gefühle (aufgrund eigener wunder Punkte / eigener schwieriger Kindheitsgeschichte) nicht klar von denen des Depressiven unterscheiden und abgrenzen kannst.

 

Hol dir therapeutische Unterstützung, wenn du dich hilflos, ohnmächtig und verzweifelt fühlst und du denkst, dass du selbst depressiv (geworden) bist, weil du deinem depressiven Angehörigen nicht helfen kannst.

 

(Lies hierzu auch den Beitrag:
Psychotherapie - ein persönliches Versagen? )

 

Setz dein Weinen nicht als Ablenkungsmanöver ein

Weinen kann eine (wahrscheinlich unbewusste, aber gut funktionierende) passiv-aggressive Strategie sein, um von dem Problem des Gegenübers abzulenken und sich dieses nicht anhören zu müssen (Weinen aus Genervtheit, Gereiztheit oder Wut.)

 

Die oben genannten "negativ-besetzten Gefühle" darf der Weinende sich nicht erlauben zu zeigen, da es ein (wahrscheinlich in der Kindheit und aus einem bestimmten Rollenverständnis heraus) unerwünschtes "strafbares" Verhalten (war) wäre. Weinen ist (was Frauen betrifft) auch heute noch in weiten Teilen der Gesellschaft eher erlaubt als offen Aggression oder Wut zu zeigen und wird nicht so schnell sanktioniert.

 

Vom Umgang mit der Wut in der Paartherapie
(siehe Seite 5 und 6 der Leseprobe)

 

Ob ein Weinen tatsächlich "echt" ist oder aus manipulativen Zwecken eingesetzt wird, erkennt man daran, ob man mit dem Weinenden mitfühlt (Empathie empfindet) oder selbst wütend wird.

 

Bei letzterem Fall könnte es sich tatsächlich um Manipulation handeln.

Die komplette Aufmerksamkeit wird nun vom Problem des Depressiven weggelenkt und auf das Heulen des "Gesunden" umgelenkt. Wodurch der "Gesunde" nun von seinem Umfeld (oder sogar von dem Depressiven selbst) "getröstet" und bemitleidet werden darf. Die eigene Thematik des Depressiven rückt nun ("zum Glück") in den Hintergrund.

 

YES!!! STRIKE!!!

(1:0 für den heulenden Gesunden!)

 

Bei solch "gut inszenierten Wein-Einlagen" kann es dann auch durchaus vorkommen, dass das Umfeld dem Depressiven die Schuld an dem Leid des "Gesunden" gibt:

"Sieh nur, was du wieder mit ... (z.B. deiner armen Mutter) angestellt hast!
Jetzt hast du sie wieder zum Weinen gebracht."

 

Diskussions-Forum "Weinen auf Kommando"

 

Sei also bitte empathisch und aufrichtig.
Dir selbst und dem Depressiven gegenüber.
Und wenn du wütend bist, sei wütend und zeige es auch. Das ist völlig in Ordnung.

 


Literatur rund um das Thema "Wut", "Schuld", "Scham" und "Kränkung"

 

Ganz bestimmt wunderst du dich nicht, dass ich hier auf das Thema Wut zu sprechen komme.

 

Es ist nur allzu verständlich, dass sich "die Gesunden" hilflos, ohnmächtig und manchmal (oder oft?) wütend bezüglich ihrer depressiven Angehörigen fühlen.

 

Sie wissen nicht, was sie tun sollen, fühlen sich verzweifelt und überfordert, in manchen Fällen auch schuldig, und könnten sicherlich manchmal "platzen vor Wut" über die sture, verbohrte, schwerfällige, pessimistische, lähmende Art ihres Gegenübers.

 

Ich denke, dass du deinen Angehörigen wahrscheinlich am liebsten packen, schütteln und anschreien würdest: "Wach auf! Tu was! Beweg dich! Krieg deinen Hintern hoch! Hör auf dich so gehen und hängenzulassen und dich selbst zu bemitleiden. Ich halte das nicht mehr aus!"

So oder so ähnlich. Vielleicht können dir die vorgestellten Bücher ein wenig weiterhelfen.

 

1. Liv Larsson: Wut, Schuld und Scham: Drei Seiten der gleichen Medaille. Junfermann-Verlag, 23. Mai 2012

 

2. Dr. med. Daniel Dufour: Wut ist gut! Wie unsere Emotionen uns helfen und heilen können. Mankau-Verlag, 10. April 2014

 

3. Harriet Goldhor Lerner und Olga Rinne: Wohin mit meiner Wut? Neue Beziehungsmuster für Frauen. Fischer-Verlag, 20. September 2001

 

4. Udo Baer und Gabriele Frick-Baer: Der kleine Ärger und die große Wut (Bibliothek der Gefühle). Beltz-Verlag, 21. Januar 2014

 

5. Doris Wolf und Rolf Merkle: Gefühle verstehen, Probleme bewältigen: Eine Gebrauchsanleitung für Gefühle. pal-Verlag, 2012

 

6. Udo Baer und Gabriele Frick-Baer: Schuldgefühle und innerer Frieden (Bibliothek der Gefühle). Beltz-Verlag, 9. April 2015

In meinem Blog DEPRESSION PLUS stelle ich in meinem Beitrag "Wie entstehen Schuldgefühle?" und "Schuldgefühle ohne Schuld" das Buch "Schuldgefühle und innerer Frieden" von Udo Baer und Gabriele Frick-Baer kurz vor. Weiterlesen...

 

7. Udo Baer und Gabriele Frick-Baer: Das ABC der Gefühle (Bibliothek der Gefühle). Beltz-Verlag, 28. Oktober 2014

 

8. Marshall B. Rosenberg: Was deine Wut dir sagen will: Überraschende Einsichten: Das verborgene Geschenk des Ärgers entdecken. Gewaltfreie Kommunikation: Die Ideen und ihre Anwendung. Junfermann-Verlag, 16. August 2013

 

9. Doris Wolf: Ab heute kränkt mich niemand mehr. pal-Verlag, 14. Mai 2003

 

Literatur zum Thema Depressionen

Literatur zum Thema Depressionen findest du, wenn du unten auf den Link klickst.


Notfall-Nummern, Selbsthilfenetz,      Chat & Foren

Weitere Hilfe findest du in Selbsthilfenetzen, Chats und Foren, in denen du dich mit anderen Angehörigen oder Betroffenen austauschen kannst. Schau doch einfach mal rein. Viel Erfolg!

  

Selbsthilfenetz

 

Diskussionsforum Depression

 

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