Meine erste Therapie


Meine erste Therapie war eine kognitive Verhaltenstherapie.

 

Diese Therapie habe ich mit 17 Jahren begonnen. Die Therapie dauerte ca. eineinhalb Jahre. Seit Abschluss der Therapie sind bereits Jahrzehnte vergangen.

 

Im Folgenden werde ich dir einen kleinen Einblick in meine Erlebnisse geben.

 

Ablauf eines Arztbesuches

 

Wahrscheinlich denkst du, dass ein Besuch bei einem Therapeuten genauso abläuft wie der bei deinem Hausarzt.

 

Man betritt - wie gewohnt- die Räume der Praxis und wird sofort von einer Sprechstundenhilfe empfangen, die einem ohne Umschweife die Versichertenkarte abknöpft und in ein überfülltes Wartezimmer schickt, bis der Arzt Zeit für eine Untersuchung hat.

 

Ganz so ist es nicht.

 

Umgebung & Abrechnungskram

 

Die Therapie bei meiner ersten Therapeutin fand in ihrem - so vermute ich - eigenen Haus statt.

Therapieraum war ihr großes Wohnzimmer, das sich im Erdgeschoss des Gebäudes befand.

 

Zunächst einmal betrat man durch die Eingangstür das Haus und kam in einen kleinen Korridor mit ein bis zwei Stühlen und einer Garderobe, an der man seine Jacke aufhängen konnte.

 

Keinerlei Spur von einer Sprechstundenhilfe oder Sekretärin (viel zu teuer!).

 

Meine Therapeutin war sowohl Coach als auch "Heilerin", Sprechstundenhilfe und Verwaltungsangestellte in einer Person.

Sie managte nebenbei ihren ganzen Verwaltungskram selber.

 

Das bedeutet auch, dass sie selbst es war, die mir die Krankenkassen-Karte abknöpfte und meine ganzen Daten aufnahm.

(Ich glaube, sie hatte sogar schon damals ein elektronisches Lesegerät für die Karte, wie bei einer Bankkarte an der Supermarktkasse, die man durch den Einlese-Schlitz zieht).

 

Persönlichkeit

 

Ich erinnere mich noch ziemlich genau an sie.

Meine Therapeutin war zur damaligen Zeit wohl Ende vierzig, schlank, mittelgroß (vielleicht 1,70 m), hatte große, rostrote Locken und trug gestreifte Blusen, am liebsten in Kombination mit Blue Jeans, also eine Art "Business-gemütlich-Look". Wenn sie sich etwas notierte, schob sie sich immer ihre Lesebrille auf die Nase.

Außerdem sprach sie immer mit einem etwas verschmitzt-heiser-gurrenden Ton in der Stimme.

 

Therapie-Raum

 

Auch an das große Wohnzimmer erinnere ich mich:
Es war leicht dämmrig (wahrscheinlich deshalb, da mein Termin immer in den Abendstunden lag und - so vermute ich - es Herbst oder Winter war, als ich die Therapie anfing).

 

In diesem Wohnnzimmer stand ein alter, schwerer, zerknautscher, dunkler Ledersessel, in dem ich immer Platz nehmen durfte.

(Ich habe also nicht "auf der Coach gelegen", wie man das allgemein mit dem Begriff Therapie assoziert. Nein, ich habe in einem Sessel gesessen.)

 

Meine Therapeutin saß mir gegenüber auf einem genauso lederknautschigen, dunklen Sofa mit einem Klemmbrett auf den Knien und einem Kugelschreiber in der Hand und machte sich hin und wieder während unserer Gespräche Notizen.

 

Zwischen uns stand ein Tisch (wahrscheinlich ein Sicherheitsabstand ;-)

 

Hinter uns befand sich ein großes Panorama-Fenster mit Blick - so glaube ich - auf einen schmalen Streifen Terassse, Wiese und grüne Hecken.

 

Im vorderen Bereich an der Eingangstür des Wohnzimmers stand der klobige Schreibtisch meiner Therapeutin mit ihrem Computer, an dem sie den ganzen Verwaltungskrempel abwickelte.

 

An der Wand über mir (neben Sessel und Sofa) war ein großer, gedrungener Teppich befestigt.

 

Schade, ich weiß nicht mehr genau, was auf diesem Teppich abgebildet war.

 

Doch er wirkte auf mich - so glaube ich - wie ein historischer Wandteppich gespickt mit bunter, atztekischer Malerei (an dieser Stelle spielt jetzt wahrscheinlich meine Fantasie verrückt.)

 

Alles wirkte auf jeden Fall gedrungen und seriös, irgendwie bedeutsam.

 

Infos zum Ablauf / Dauer einer Sitzung

 

Meine Therapie fand immer einmal wöchentlich (gleicher Tag, gleiche Uhrzeit) statt.

 

Bei unseren Gesprächen befand sich zwischen uns auf dem Tisch stets ein kleiner Wecker, damit wir beide die Zeit im Auge behielten, denn eine Sitzung dauerte immer 50 Minuten, was heutzutage immer noch üblich ist.

 

Ich finde diesen Zeitumfang angemessen, um wunde Punkte anzusprechen, Hausaufgaben zu "kontrollieren" (wie in der Schule) und über aktuelle Ereignisse, Belastendes aus der Vergangenheit oder neue Erkenntnisse (Fortschritte) bezüglich der Therapie zu berichten.

 

Nach der Sitzung

 

Nach jeder Sitzung hat die Therapeutin ungefähr 10 Minuten Zeit sich zu erholen, frisch zu machen und sich vorzubereiten, bevor der nächste Kunde auf der Matte steht.

 

(Meine Therapeutin hatte einen unglaublich vollen Terminkalender. Sie arbeitete montags bis freitags von morgens bis abends und hatte ungefähr 8 bis 10 Patienten am Tag).

 

Diese Pause von 10 Minuten zwischen den Sitzungen bedeutet dann auch für dich selbst, dass du den "Patienten", der vor und nach dir "dran" war, nicht zu Gesicht bekommst. Du wirst ihr oder ihm nicht begegnen. Ist also alles ziemlich anonym.

 

Langzeit-Therapie

 

Es gibt Lang- und Kurzzeit-Therapien.

 

Meine erste Therapie war eine Langzeittherapie.
(Diese umfasst in der Regel 5 bis 50 Sitzungen oder mehr).
Meine Therapie dauerte auf jeden Fall mehr als ein Jahr.

 

(Eine Kurzzeittherapie dagegen umfasst zwischen 5 und 25 Sitzungen.)

 

Gespräche

 

Im Grunde habe ich (am Anfang der Therapie) nicht so viel gesprochen. Ich war so depressiv (ich hing wie ein Schluck Wasser mit ausgebeultem Pullover im Sessel), dass ich manchmal wahrscheinlich nur sehr einsilbig war. Was - so glaube ich - meine Therapeutin jedoch nicht gestört hat.  Dafür redete sie umso mehr, was ich gut fand.

 

Ich erinnere mich noch daran, was oder viel mehr, wie sie alles erzählte.
Ich empfand sie als sehr positiv, (willens)stark, durchsetzungsfähig, listig-humorvoll, mütterlich und energisch, wie eine Mischung aus einer Füchsin und Löwin, das umschreibt es vielleicht am Besten.

 

Sie erzählte mir viel aus ihrem eigenen Leben. Über ihre damals schon erwachsene Tochter und ihre Scheidung. Wie sie ihre Tochter alleine groß gezogen hatte und sich durch ihr Psychologie-Studium gekämpft hatte. Wie sie - trotz großer Mühen und Schwierigkeiten - ihr Leben gemeistert hatte.

 

Das alles ist mir noch sehr lebhaft in Erinnerung geblieben und hat einen tiefen Eindruck in mir hinterlassen.

 

Eine Hypnose-Sitzung

 

Ich kann mich auch noch sehr gut an eine Sitzung erinnern, in der sie mich mit mit dem Thema Hypnose in Berührung brachte.

 

Ich sollte die Augen schließen und mich in meinem Sessel entspannen.

 

Dann begann sie langsam zu sprechen.
Das hört sich jetzt für dich vielleicht sehr witzig an.
Aber sie sagte nur einen Satz: "Mein rechter Arm ist ganz schwer."
Immer und immer wieder sprach sie - mit längeren Pausen - nur diesen einen Satz.
Und mein Arm wurde tatsächlich schwer. 


Es war nur eine einzige Sitzung, doch dieses Erlebnis brachte mich Jahre später dazu, mich mit dem Autogenen Training und der Progressiver Muskelentspannung zu beschäftigen.

 

Obwohl sie kein einziges Wort über die Methode verloren hatte (ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern) und sie mir einfach nur praktisch und anschaulich beigebracht hatte, wie man sich selbst bewusst und kontrolliert in einen Entspannungs-Zustand versetzen kann, hatte sie wohl mehr getan, als wenn sie mir einen Vortrag über das Thema gehalten oder mir eine Literatur-Liste in die Hand gedrückt hätte mit den Büchern, die diese Methode vorstellen.

 

Vermeiden versus sich der Angst stellen

 

In meiner Therapie ging es vor allem um das Thema "Angst und Vermeidung".

 

Hierzu bekam ich Hausaufgaben auf.

 

Ich musste mich meinen Ängsten stellen und genau das tun, was ich jahrelang vermieden hatte.
Dinge, bei denen sich mir schon bei dem bloßen Gedanken daran alle Nackenhaare sträubten und ich einen unglaublichen Widerstand in mir spürte.

 

Bevor ich mich allerdings der mir angsteinflößenden Situation stellte, sollte ich noch einen Einschätzungsbogen ausfüllen und überlegen, wie schwierig oder angstbesetzt (in Prozent) ich die Aufgabe einschätzte (z.B. Angstlevel: 80 oder 90 Prozent).

 

Dann musste ich die Aufgabe (oder eher Mutprobe) durchführen, mich der angstmachenden Situation stellen, in der darauffolgenden Sitzung meiner Therapeutin die Erlebnisse schildern und eine erneute Einschätzung der Angst (in Prozent) vornehmen.
(Es konnte dann natürlich auch schon mal vorkommen, dass ich sagte: "Ich hab die Aufgabe nicht gemacht." (wie in der Schule).

 

Wenn man aber den Mut aufgebracht hat, so war das Ergebnis der zweiten Einschätzung (in Prozent) meist deutlich niedriger als die erste, also zum Beispiel die tatsächlich gefühlte Angst in der belastenden Situation lag bei 50/60 statt bei geglaubten 80 Prozent.

 

So kommt es dann schrittweise zu einer "De-Sensibilisierung".

 

Je öfter du dich deinen eigenen Ängsten stellst, desto mehr traust du dir hinterher auch wieder zu, und das Leben wird viel lebenswerter.

 

Fazit

 

Was ich rückblickend zu meiner Therapie sagen kann, ist, dass ich viel gelernt habe und lernen "musste". Doch noch viel Wichtiger finde ich die Erkenntnis, dass der eigentliche Denk- und Lernprozess (über sich selbst, das eigene Verhalten, das eigene Leben und das Umfeld) erst nach abgeschlossener Therapie einsetzt.

 

Nach meiner Verhaltenstherapie ging es erst richtig los für mich.
Ich habe sehr viele Bücher gelesen und neue Dinge gelernt und viel ausprobiert und bin natürlich auch oft gescheitert und war verzweifelt. Aber Scheitern gehört zum Lernen dazu.

 

Auf jeden Fall bedeutet es, dass der Lernprozess mit deiner Therapie nicht endet, er fängt dann erst richtig an.