Die Teekanne (von Hans Christian Andersen)

Ein bekanntes Sprichwort sagt:

Hochmut kommt vor dem Fall.

Wie aber kann man Hochmut, Eitelkeit und Narzissmus überwinden?

Hans Christian Andersens Erzählung von der Teekanne gibt hierzu Anregung.

Unten findest du den Text von Hans Christian Andersen. Wenn du magst, kannst du ihn dir auch mittels des Videos anhören.

Die Teekanne

 

Es war einmal eine eitle Teekanne. Die war stolz auf ihr Porzellan, stolz auf ihre lange Tülle, stolz auf ihren breiten Henkel. Aber von ihrem Deckel sprach sie nicht. Denn der war zerbrochen, der war gekittet, der hatte einen Fehler, und von seinen Fehlern spricht man nicht gerne, das tun die anderen schon genug. Die Tassen, das Sahnekännchen und die Zuckerdose, das ganze Teegeschirr würde wohl mehr über den zerbrochenen Deckel sprechen als von dem guten Henkel und der ausgezeichneten Tülle, das wusste die Teekanne.

 

"Ich kenne meine Mängel“, sagte die Teekanne, „und ich erkenne sie auch an. Darin liegt meine Demut, meine Bescheidenheit. Mängel haben wir alle. Aber man hat doch auch Begabungen. Die Tassen haben einen Henkel, die Zuckerdose hat einen Deckel, und ich erhielt eine Tülle, die sie niemals haben werden. Das macht mich zur Königin auf dem Teetisch. Die Zuckerschale und das Sahnekännchen dürfen Dienerinnen des Wohlgeschmacks sein“, sagte die Teekanne. „Aber ich, ich bin die Gebende, die Herrschende. Ich verbreite den Segen unter der durstenden Menschheit. In meinem Inneren werden die chinesischen Blätter mit dem kochenden geschmacklosen Wasser verbunden."

 

Eines Tages stand die Teekanne auf dem gedeckten Tisch und wurde von der feinsten Hand hochgehoben. Aber die feine Hand war ungeschickt, und die Teekanne fiel zu Boden. Die Tülle brach ab, der Henkel brach ab und der Deckel zersprang. Die Teekanne lag ohnmächtig auf dem Fußboden. Das kochende Wasser lief heraus. Das war ein schwerer Schlag für sie, und das Schlimmste war, dass sie alle lachten. Aber sie lachten nicht über die ungeschickte Hand, die sie hatte zu Boden fallen lassen. Sie lachten über sie.

 

"Das werde ich nie vergessen", sagte die Teekanne. "Ich wurde Invalidin genannt, in eine Ecke gestellt und direkt am nächsten Tag an eine Frau verschenkt, die um Küchenabfall bettelte. Ich selbst wurde zur Bettlerin, ohne Zweck, nutzlos, innerlich wie äußerlich. Aber als ich so dastand, wie ich dastand, begann mein besseres Leben. Man füllte mich mit Erde. Das war für mich wie begraben zu werden. Aber in die Erde wurde eine Blumenzwiebel gelegt. Wer sie hineinlegte, wer sie dort hineingab, das weiß ich nicht mehr. Aber sie wurde mir als Ersatz für die chinesischen Blätter und das kochende Wasser gegeben, als Ersatz für den abgebrochenen Henkel und die Tülle. Und die Zwiebel lag in der Erde, die Zwiebel lag in mir. Sie wurde mein Herz, mein lebendiges Herz; ein solches hatte ich früher nie gehabt. Es war auf einmal Leben in mir, es war Kraft, viel Kraft in mir. Der Puls schlug, die Zwiebel trieb Keime. Es war, wie zersprengt zu werden von Gedanken und Gefühlen. Gedanken und Gefühle brachen auf in einer Blüte. Ich sah sie, ich trug sie, ich vergaß mich selber in ihrer Herrlichkeit. Ein Segen ist, sich selber in anderen zu vergessen.

 

Sie bedankte sich nicht bei mir. Sie dachte nicht an mich. Sie wurde bewundert und gelobt. Ich war froh darüber, wie glücklich musste sie darüber sein. Eines Tages hörte ich, wie jemand sagte, sie verdiene einen besseren Topf. Man schlug mich mitten entzwei; das tat gewaltig weh. Aber die Blume kam in einen besseren Topf, und ich wurde in den Hof hinausgeworfen. Liege jetzt da, als alter Scherbenhaufen. Aber die Erinnerung an sie, die wird mir immer bleiben." 

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